Der Konflikt ist nicht zu
verstehen ohne seine Geschichte
(4) Die nationalen Bewegungen im Europa des 19. Jahrhunderts waren
durch einen zunehmenden Antisemitismus gekennzeichnet. Aus dieser
feindlichen Haltung gegenüber der jüdischen Bevölkerung entwickelte
sich die zionistische Bewegung. Dem europäischen Modell folgend war
der Zionismus darum bestrebt einen eigenen Nationalstaat zu gründen,
aus religiösen und traditionellen Gründen sollte dies in Palästina
(hebräisch: Erez Israel) sein. Unter der Losung "Ein Land ohne Volk
für ein Volk ohne Land" strebte der Zionismus die Gründung eines
jüdischen Staates in Palästina an. Doch Palästina war zu keiner Zeit
ein leeres Land; dort lebten Ende des 19. Jahrhunderts etwa eine
halbe Million Menschen, 90 Prozent davon waren Araber. Somit war das
Ansinnen einen jüdischen Staat in Palästina gründen zu wollen, von
Unkenntnis über das Land und von einer Arroganz und anmaßenden
Haltung gegenüber den dort lebenden Menschen geprägt.
Dementsprechend formierte sich unter der arabischen Bevölkerung ein
Widerstandspotenzial gegen das Eindringen der Zionisten in
Palästina.
(5) Nach dem I. Weltkrieg nahmen die Auseinandersetzungen zwischen
den zionistischen Einwanderern und der arabischen Bevölkerung weiter
zu. Verstärkt wurden diese Auseinandersetzungen durch die
Judenverfolgung des Dritten Reiches. Auf der Flucht vor den Nazis
versuchten viele Juden in Palästina ihr Glück, die zionistische
Bewegung gewann an Stärke. Demgegenüber wuchs der Widerstand der
arabischen Bevölkerung gegen eine weitere jüdische Einwanderung und
gegen weiteren Landerwerb durch Juden. Durch den Holocaust, dem
sechs Millionen Juden zum Opfer fielen, wurde die zionistische
Forderung nach Errichtung eines eigenen Staates letztendlich
politisch und moralisch gerechtfertigt.
UN-Teilungsplan und Krieg
(6) Nach dem II. Weltkrieg wurde das Palästina-Problem vor der UNO
verhandelt. Durch die UNO wurde ein Teilungsplan verabschiedet, der
die Gründung eines jüdischen und eines arabischen Staates vorsah.
Die Stadt Jerusalem mit seiner Umgebung sollte als neutrales Gebiet
einen Sonderstatus erhalten und unter internationale Aufsicht
gestellt werden. Am 14. Mai 1948 wurde schließlich die
Unabhängigkeit Israels verkündet. Die Bildung eines arabischen
(palästinensischen) Staates wurde durch die militärischen
Auseinandersetzungen verhindert. Nach dem UNO-Teilungsplan wurden
Israel 55 Prozent des Landes zugeteilt; beide Staaten, sowohl der
arabische als auch der jüdische, hätten nach diesem Plan ein sehr
heterogenes Staatsgebiet erhalten. Seitens der zionistischen
Bewegung wurde der Teilungsplan akzeptiert; sie sah darin eine Basis
für eine zu schaffende jüdische staatliche Souveränität. Von
arabischer Seite hingegen wurde der UN-Teilungsplan abgelehnt. Für
sie war es nicht akzeptabel, dass die Vereinten Nationen ein Land
teilten, dass ihnen nicht gehörte. Verstärkt wurde dies durch die
Tatsache, dass nach dem Teilungsplan der jüdischen Minderheit, die
nur ein Drittel der Bevölkerung ausmachte, der größte Teil des
Landes übergeben werden sollte.
(7) Nach dem Teilungsplan und der Unabhängigkeitserklärung Israels
folgte ein Krieg, bei dem beide Seiten versuchten möglichst viel
Land der anderen Seite zu erobern. Im Verlauf der militärischen
Auseinandersetzungen der Jahre 1948/49 hat Israel sein Staatsgebiet
über die Grenzen des UN-Teilungsplanes hinaus ausgedehnt und
umfasste nunmehr 78 Prozent des Territoriums. Mit dieser Ausdehnung
ging die systematische Vertreibung der arabischen Bevölkerung
einher, während des Krieges wurden etwa 750.000 Palästinenser
entwurzelt. Aus dem 1949 zwischen Israel und den arabischen Staaten
geschlossenen Waffenstillstand ging der Staat Israel eindeutig als
Sieger hervor, er verfügte nun über ein homogenes Gebiet, das von
Eilat am Roten Meer bis zur libanesischen Grenze reichte. Die
verbleibenden Reste (Westjordanland und Gaza-Streifen) des
ursprünglich geplanten arabischen Staates kamen unter jordanische
bzw. ägyptische Herrschaft. Während die Israelis den Krieg von
1948/49 bis heute als "Unabhängigkeitskrieg" feiern, wurden die
Folgen des Kriegs von den Palästinensern verständlicherweise nur als
"Katastrophe" (Al-Nakba) empfunden.
(8) Während des Sechs-Tage-Krieges von 1967 besetzte Israel
schließlich auch das restliche Territorium und darüber hinaus auch
den zu Syrien gehörenden Golan sowie die zu Ägypten gehörende
Sinai-Halbinsel. Erst nach dem Oktoberkrieg von 1973 zog sich Israel
aus Teilen des Golan und Sinai zurück. Nach den
Friedensverhandlungen zwischen Israel und Ägypten und dem am 12.
März 1979 geschlossenen Camp-David-Abkommen wurde die
Sinai-Halbinsel schließlich an Ägypten zurückgegeben. Die
israelische Politik war in dieser Zeit durch die Grundsätze geprägt,
dass es keine Rückkehr zu den Grenzen von 1949 geben sollte, da
sonst die Verteidigungsfähigkeit Israels eingeschränkt würde. Ein
zweiter Grundsatz bestand darin, dass eine unabhängige und starke
Militärmacht ausgebaut werden müsse, die auf die arabischen Gegner
eine abschreckende Wirkung haben sollte.
(9) In den von Israel besetzen Gebieten sorgte das Besatzungsrecht
für weitere Spannungen und ein latent vorhandenes Konfliktpotential.
Repressalien wie Vertreibung von Grund und Boden, die Sprengung von
Häusern sowie die Schließung von palästinensischen Einrichtungen
waren an der Tagesordnung.
Die israelische Siedlungs- und Besatzungspolitik als Quelle von
Gewalt
(10) Neue jüdische Siedlungen wurden in den besetzten Gebieten
geschaffen. Die arabische Bevölkerung wurde in den Gebieten
drangsaliert und vertrieben. Dabei wurden den "Abwesenden" (den
Flüchtlingen) große Teile ihres Landes weggenommen; ebenso den
offiziell als "abwesend Anwesenden", jenen Arabern also, die zwar
physisch in Israel geblieben waren, nicht aber Bürger des
israelischen Staates werden durften. Die Siedlungsbewegung ging
einher mit einer zunehmenden Immigration von Juden, die teilweise
mit großem Aufwand betrieben wurde. Ziel dieser Politik war die
weitere Stärkung der Machtstellung Israels.
(11) Die israelische Siedlungspolitik verstößt ohne Zweifel gegen
internationales Recht. Durch diese Politik trägt Israel
entscheidende Verantwortung an der zunehmenden Gewalteskalation im
Nahen Osten. Der UN-Teilungsplan hatte für den jüdischen Staat 55
Prozent des Landes (Palästina) vorgesehen, nach dem Krieg von
1948/49 besetzte Israel weitere 23 Prozent und nach dem
Sechstagekrieg von 1967 die verbleibenden 22 Prozent. Die Politik
Israels orientiert sich dabei an dem Grundsatz, dass die
Errungenschaften des Krieges von 1948/49 feststehende Fakten sind,
an denen nicht zu rütteln ist. Verhandlungsgegenstand und mögliche
Kompromisslinien können sich demzufolge lediglich auf die
verbleibenden 22 Prozent beziehen. Diese Haltung spiegelt eine
eklatante Missachtung der UN-Resolutionen wieder und missachtet
permanent internationales Recht.
Wirtschaftliche und soziale Folgen der Besatzung
(12) Auch während der Verhandlungen zum Oslo-Abkommen und in dessen
Folge setzte die israelische Regierung ihre Siedlungspolitik in den
besetzten Gebieten fort. Unbarmherzig erfolgte die Errichtung neuer
und die Erweiterung bestehender jüdischer Siedlungen. Das
israelische Militär besitzt die Kontrolle über alle wichtigen
Straßen im Westjordanland und seiner Umgebung. Durch die israelische
Politik sind die Autonomiegebiete zu einer Art Flickenteppich
geworden, der von Israel kontrolliert wird. Damit wird vor allem
auch die wirtschaftliche Entwicklung der Autonomiegebiete behindert.
Zu der israelischen Besatzungspolitik und ihren negativen Folgen
kommt die dramatische Verschlechterung der wirtschaftlichen
Situation hinzu. In weiten Teilen gibt es bereits Lebensmittelmangel
und einen akuten medizinischen Versorgungsnotstand.
(13) Die im Gaza-Steifen und im Westjordanland lebenden
Palästinenser sind einer permanenten Aggression und Demütigung durch
die israelische Seite ausgesetzt. Unbewaffneter palästinensischer
Widerstand ist demnach legitim. Zu verurteilen sind dagegen
Terrorakte gegen israelische Einrichtungen und (Selbst-)Mordanschläge
auf israelische Militärpersonen und Zivilisten. Eine Politik
allerdings, die ausschließlich von den Palästinensern eine klare
Absage an Gewalt verlangt, zur staatlich sanktionierten
militärischen und strukturellen Gewalt Israels gegen die
Palästinenser (von gezielten "Hinrichtungskommandos" über die
Siedlungsausdehnung bis zur wirtschaftlichen Strangulierung) jedoch
schweigt, ist von Einseitigkeit geprägt und kann in diesem Konflikt
nicht neutral vermitteln.
Friedensbewegung
verlangt Einmischung für den Frieden
(14) Um eine Friedenslösung im Nahen Osten zu erreichen, sind
verstärkte internationale Vermittlungsanstrengungen notwendig. Sie
müssen sich daran orientieren, dass für alle Menschen in der Region
eine Lebensperspektive zu entwickeln ist. Eine Rückkehr zur Politik
verlangt von beiden Seiten die Anerkennung der im Mitchell-Bericht
formulierten Grundbedingungen: die Einstellung aller
Gewalthandlungen und den Stopp der Siedlungstätigkeit.
(15) Unter dieser Voraussetzung und in Anlehnung an die von der
israelischen Friedensbewegung ausgearbeiteten
"80 Thesen für ein neues Friedenslager" sollten folgende
Grundlagen dabei Beachtung finden:
- Neben Israel wird ein
unabhängiger und freier Palästinastaat gegründet.
- Die "Grüne Linie" (die Grenze
vor dem Sechs-Tage-Krieg 1967) wird die Grenze zwischen den
beiden Staaten. Mit Zustimmung beider Seiten ist ein begrenzter
Gebietsaustausch möglich.
- Die israelischen Siedlungen auf
dem Territorium des Palästinastaates werden geräumt.
- Die Grenze zwischen den beiden
Staaten wird nach einer zwischen beiden Seiten vereinbarten
Regelung für die Bewegung von Personen und Gütern offen sein.
- Jerusalem wird die Hauptstadt
beider Staaten - West-Jerusalem die Hauptstadt Israels und
Ost-Jerusalem die Hauptstadt Palästinas. Der Staat Palästina
wird die vollständige Souveränität in Ost-Jerusalem besitzen,
einschließlich des Haram al-Sharif (Tempelberg). Der Staat
Israel wird die volle Souveränität in West-Jerusalem besitzen,
einschließlich der West-Mauer ("Klagemauer") und des jüdischen
Viertels.
- Israel wird prinzipiell das
Recht der Palästinenser auf Rückkehr in ihre Heimat als ein
unveräußerliches Menschenrecht anerkennen. Gleichzeitig muss
eine praktische Lösung des Problems durch ein Abkommen erreicht
werden, in dem faire und praktikable Maßnahmen entwickelt
werden, die sowohl eine Rückkehr in die Staaten Palästina und
Israel ermöglichen als auch Entschädigungen vorsehen.
- Die Wasservorkommen werden
gemeinsam kontrolliert und in einem gleichberechtigten und
fairen Abkommen zugeteilt.
- Die Unverletzlichkeit beider
Staaten wird in einem zweiseitigen Abkommen (das auch dritte
Garantiemächte einschließen kann) garantiert, das die
spezifischen Sicherheitsinteressen Israels wie Palästinas
berücksichtigt.
Bundesregierung, EU und Friedensbewegung
(16) Die Bundesregierung und die EU können diesen Prozess am besten
dadurch unterstützten, dass sie sich in diesem Konflikt politisch
neutral verhalten und sich für die ökonomische Entwicklung und
soziale Wohlfahrt der Region engagieren. Über die hier beschriebenen
Grundlagen hinaus tragen sie Verantwortung dafür,
- dass auf beide Seiten
diplomatischer Druck ausgeübt wird, damit die Linie der Gewalt
und der andauernden Siedlungstätigkeit verlassen wird;
- dass jene EU-Bestimmungen
aufgehoben werden, die den israelischen Siedlern in der Westbank
und im Gaza-Streifen EU-Subventionen gewähren;
- dass keine weiteren
Waffenlieferungen in die Krisenregion erfolgen.
(17) Als Teil der deutschen Friedensbewegung, die sich in ihrer
Gesamtheit der besonderen Verantwortung gegenüber dem jüdischen Volk
bewusst ist und deshalb sowohl das Existenzrecht Israels als auch
die Lebens- und Menschenrechte der Palästinenser verteidigt,
begleiten wir die von Gewalt und Hass geprägte Entwicklung mit
großer Sorge. Der Bundesausschuss Friedensratschlag unterstützt alle
politischen Kräfte und Initiativen auf beiden Seiten, die sich für
eine nicht-rassische, nicht-militärische und gewaltfreie Lösung des
Nahostkonflikts einsetzen. Jegliche Form der Vorverurteilung einer
der beiden Seiten lehnen wir ab, jede Form des Antisemitismus und
Antiarabismus bekämpfen wir. Und jeglichen Versuch von außen, den
israelisch-palästinensischen Konflikt im geopolitischen,
militärstrategischen oder ökonomischen Interesse irgendeiner Welt-
oder Regionalmacht zu instrumentalisieren, lehnen wir als
unzulässige Einmischung ab. Einmischung ja - aber mit zivilen,
friedlichen Mitteln, selbstlos und ausschließlich zum Wohl der
betroffenen Völker. An diesen Kriterien werden wir auch die
Nahost-Politik der eigenen Regierung messen.
Quelle: AG Friedensforschung an der Uni Kassel